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Projekt

Visuelle Wahrnehmung von Handlungen: Einfluss der zeitlichen Struktur

ArbeitsgruppeRealitätsnahe Darstellungen
Laufzeit11/2013 - 12/2020
FörderungHausmittel IWM
Projektbeschreibung

Beim Beobachten visueller Abläufe im Alltag nehmen Menschen nicht einfach kontinuierliche Verhaltensströme wahr, sondern tendieren vielmehr dazu, die Abläufe in sinnvolle Abschnitte einzuteilen und diese auch zu hierarchisieren. Dieser Vorgang beeinflusst nicht nur unsere Alltagswahrnehmung im realen Leben. Auch Medien wie Film und Videoclips nutzen dieses Verarbeitungsmuster bei der Darstellung von Ereignissen. In Videoclips werden zum Beispiel in filmischen Ellipsen Teile der Ereignisse übersprungen und nicht präsentiert. Dadurch kann ein Filmclip inhaltlich denselben Zeitraum „erzählen“, aber die dafür nötige formale Erzählzeit verkürzt sich. Das Projekt untersuchte den Einfluss unterschiedlich langer filmischer Ellipsen (1) auf die wahrgenommene Dauer der Ereignisse und (2) auf das hierarchische Level, auf dem Zuschauer*innen ein Ereignis verarbeiten. Dazu wurden Laiendarsteller *innen dabei gefilmt, wie sie verschiedene Alltagshandlungen ausführten, und es wurden Experimentalclips erstellt, die jeweils dieselbe Handlung zeigten aber entweder kurze oder lange filmische Ellipsen realisierten.


Wenn wir im Alltag Aktivitäten anderer beobachten, teilen wir unsere Aufmerksamkeit häufig auf zwischen verschiedenen Ereignissen und nehmen so jede einzelne Aktivitätssequenz nur mit zeitlichen Lücken wahr. Zwei Laborstudien untersuchten, ob die Länge der zeitlichen Auslassungen die Verarbeitung der Aktivitäten beeinflusst. In Experiment 1 wurden Filmclips präsentiert, bei denen die dargestellten Aktivitäten entweder lange oder kurze Lücken enthielten, und die Versuchspersonen schätzten ein, wie lange die jeweils im Film dargestellte Aktivität dauern würde, wenn sie in der Realität ausgeführt werden würde. Dieselben Filmclips wurden in Experiment 2 verwendet und hier sollten die Versuchspersonen schätzen, wie lange die Darbietung der jeweiligen Aktivität gedauert hatte. Die Ergebnisse zeigten, dass die Versuchspersonen, wenn sie Filmclips mit langen im Vergleich zu kurzen Ellipsen gesehen haben, die Dauer der jeweiligen Aktivität im Alltag länger einschätzten (Experiment 1), aber die Darstellung selbst kürzer empfanden (Experiment 2). Dies legt nahe, dass Aktivitäten nach langen zeitlichen Sprüngen als Platzhalter für längere Abschnitte im Ereignisstrom genommen werden, dass aber im Gegensatz dazu die Darstellung selbst kürzer erscheint. Die Befunde weisen darauf hin, dass lange Zeitsprünge die kognitiv wahrgenommene Dauer eines Ereignisses verlängern, aber auch die Einschätzung der Präsentationsdauer beeinflussen.


Ereignisse und Aktivitäten bestehen nicht nur aus seiner Abfolge von Einzelschritten. Vielmehr bilden diese Abschnitte eine Hierarchie, in der Abschnitte auf einem höheren Level jeweils mehrere Abschnitte auf einem niedrigeren Level umfassen. Das bedeutet, dass Beobachter*innen einer Aktivität diese nicht nur in verschiedenen Einzelabschnitte unterteilen, sondern dass sie diese auch auf dem passenden Level verarbeiten müssen. Zwei Laborstudien zeigten, dass wenn Ereignisse mit zeitlichen Lücken präsentiert werden, die Länge dieser Zeitsprünge das Level beeinflusst, auf dem ein dargestelltes Ereignis verarbeitet wird (Experiment 1) und dass dieses Level auch auf zu erwartende zukünftige Ereignisse übertragen wird (Experiment 2). Die präsentierten Filmclips zeigten Alltagsaktivitäten und enthielten kurze oder lange zeitliche Sprünge zwischen den Einstellungen. Das Verarbeitungslevel der Teilnehmenden wurde über ihre Erinnerung an das im Film Gesehene erfasst bzw. über ihre Formulierung dessen, was sie als nächstes Ereignis erwarten würden. Die Befunde sprechen für ein erweitertes Model zur Wahrnehmung und Verarbeitung von visuellen Ereignissen: Zuschauende versuchen Ereignisse kontinuierlich zu verarbeiten, also zeitliche Lücken zu ersetzen, und extrapolieren hierfür bei Lücken indem sie auf eine höheres Verarbeitungslevel gehen.



Publikationen

Garsoffky, B., & Schwan, S. (2020). Same action, different level: Descriptions of perceived or predicted actions depend on preceding temporal gaps in event streams. Journal of Experimental Psychology: Learning, Memory, and Cognition, 46(10), 1868-1880. https://dx.doi.org/10.1037/xlm0000855 Volltext anfordern
 

Garsoffky, B., Huff, M., & Schwan, S. (2017). Mind the gap: Temporal discontinuities in observed activity streams influence perceived duration of actions. Psychonomic Bulletin & Review, 24, 1627-1635. https://dx.doi.org/10.3758/s13423-017-1239-2 [Data] Volltext anfordern